Lesefutter

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Am 13.7.2002 war Bruckners Achte in der Basilika zu hören, gespielt hat die Württembergische Philharmonie Reutlingen unter Roberto Paternostro, und es war recht gut wie jedes Jahr (Brucknerzyklus, jedes Jahr eine Sinfonie in der Basilika mit den Reutlingern, seit 1997).

Nicht ganz ohne irgendwelche Absichten war ich schon um etwa 16.00 Uhr in der Basilika (Beginn war um 19:00 Uhr) und richtig, sie waren am Proben. Publikum war zugelassen, vor mir saß etwa ein halber Ausflugsbus munterer Rentnerinnen, aber ich käpfte mich Reihe um Reihe nach vorne auf Sichtweite (die Basilika ist groß, und ohne Brille (es hatte geregnet, und ich war mit dem Fahrrad da) ist sie noch viel größer) ans Geschehen heran und machte auch in Reihe 21 halt, für die hatte ich nämlich schon legal am Vormittag eine Karte erworben, um die Akustik zu testen, und in Reihe 21 wummerte es ganz vernehmbar von den Bässen herüber, das paßte also schon mal. Dann wurden die ganzen Highlights der Sinfonie, wahrscheinlich wegen dem ewigen Hall, einmal angeprobt, also eine Gänsehautstelle nach der anderen, und das auf einem guten und noch bequemen Platz, es hatte sich also schon gelohnt. Nach der Probe, es waren nicht mehr viel Leute da und der Bus wohl schon abgefahren, kam noch eine wie ein Schatzmeister oder Kassenprüfer aussehende Gestalt auf mich zu und wollte, nun aber zu viel des Guten, noch Freikarten verteilen, ich besann mich auf den zu erwartenden Sound in Reihe 21 und lehnte dankend ab, er muß mich für nicht ganz sauber gehalten haben.

Nach einer Runde durch die Stadt und der Lektüre des Programmheftes wurde es auch langsam sieben und die Basilika voller, hinter mir begann eine lebhafte Diskussion über die Bilder an der Decke, die größer aussehen, als sie sind und den Vorhang über der Kanzel, der eigentlich geschnitzt ist, aber wie echt aussieht, links vor mir saßen, es gibt sie also doch, vier oder fünf jüngere Leute und der Herr rechts hatte einen fürchterlichen Schluckauf oder Krämpfe, es war nicht so genau zu definieren, dafür aber umso lauter. Hintern und Rücken taten bereits weh, der Vorsatz, sich während des Konzerts nicht zu bewegen, also schon vor dem ersten Takt zum Scheitern verurteilt. Doch da kamen auch schon die Musiker herein, geklatscht wurde seltsamerweise nicht, aber man ist ja auch in einem Gotteshaus, nach dem Stimmen wurde es sogar hinter mir ruhiger, nur der Schluckauf war noch da, doch er verlegte sich auf die Stellen, an denen die ganze Kirche vor Spannung den Atem anhielt, man kann die Stille fast schon spüren, da: "hjmmm", schnappt es neben mir nach Luft. Dabei ging es mindestens die letzten 50 Takte ganz gut. "Naja, wid schon werden", aber falsch gedacht, bei der nächsten Stelle das Gleiche, teils wütende Blicke von den Umsitzenden, aber hey Leute, ich bin's nicht. Nun fängt er, aus Verlegenheit oder Langeweile, damit an, mit den Fingernägeln zu knipsen, fortan gehen 50% der Energie, die eigentlich fürs Hören gedacht war, dabei drauf, sämtliche Geräusche von rechts auszublenden, was, bis auf die weithin vernehmbaren Hickser während den Generalpausen, auch ganz gut gelingt. Links vorne bahnt sich ein Wechsel der Sitzposition an, aber die Bänke sind auch unbequem. Nach dem ersten Satz rappelt es einmal heftig durch sämtliche Reihen, hier und da werden schnell die Plätze getauscht, dann geht es weiter. Ungefähr in der Mitte des Satzes halte ich es nicht mehr aus und wechsle, nun mit den regennassen Schuhen auf der heiligen Kniebank, von Position eins (aufrecht sitzend, Füße zusammen und Hände gefaltet) in Position zwei (eher entspannt, wie die übliche Sitzhaltung an Orten, die auch der Kaiser alleine aufsucht), doch sie ist nicht von Dauer und vor Ende des Satzes bin ich wieder, ein Indianer kennt keinen Schmerz und Buße (für die Füße auf der Kniebank) muß sein, bei Position eins angelangt, die, weitere 10% der Aufmerksamtkeit gehen für Unterdrückung eines Schmerzes im Rücken- und darunter-Bereich flöten, bis zum Ende etwa eine Stunde später beibehalten wird.

Vor dem dritten Satz werden wieder ein Paar Plätze gewechselt, einige Leute geben sogar ihre (guten) Sitzbankplätze auf, um an einen mit bequemer Lehne versehenen und gepolsterten Stuhl (pro Reihe vier im Mittelgang) zu kommen, aber dann hat schließlich jeder seinen Ort gefunden. Doch so langsam merkt man die vergangene Zeit, links vorne scheinen die Augen schwer zu werden und ab und zu durchbricht ein Hicks von links die Mauer, die Magenkribbelstellen werden auch weniger, aber vielleicht liegt das auch an der Gewöhnung durch die vorangegange Probe. Trotzdem ist der Klang beeindruckend, und als alles vorbei ist, wird fleißig applaudiert (teilweise stehend, was aber auch an den Bänken liegen kann) bis auch die Hände wehtuen, aber morgen ist ja Sonntag, da braucht man sie nicht... Fehlt noch der schlimmste Teil, das Verlassen der Kirche. Alles schiebt sich durch eine viel zu schmale Tür und noch eine nach draußen und danach Richtung Parkplatz, wo auch mein Fahrrad steht, Überholen oder Durchkommen unmöglich, also noch ein Schwätzle halten, "Wie war's?" - "Schön".